Gefangen in einem Schwur (German Edition) by Krafzik Marion

Gefangen in einem Schwur (German Edition) by Krafzik Marion

Autor:Krafzik, Marion [Krafzik, Marion]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-26T16:00:00+00:00


NEUNZEHN

Die Versuchung, noch etwas zu trinken, war groß. Gerade heute, gerade jetzt konnte sie es gut vertragen. Nein. Die Zeiten sind vorbei. Auch wenn der kleine Teufel in ihrem Kopf sie anlächelte und zuflüsterte: ‚Ein Glas kann nicht schaden, du hast es doch im Griff.‘ Sie stürzte fluchtartig aus der Wohnung, um dem Teufel in ihrem Kopf zu entfliehen. Sie presste ihr Handy fest ans Ohr: „Tanja? Hi, ich bin es.“ Sie musste Tanjas Stimme hören, denn sonst fürchtete sie, würde sie der Versuchung erliegen. Ihr Magen zog sich zusammen und sie atmete tief ein und aus. Eine Übung, die sie nun täglich hundertmal machen muss, aber es hilft, so wie ihr auch Tanja hilft. Sie ist immer für sie da mit ihrer ruhigen und unaufdringlichen Art. Marie ist dankbar dafür, dass sie diese Frau kennenlernen durfte. Ohne ihre Unterstützung würde sie jetzt nicht in ihrem Wagen sitzen und auf dem Weg in ihre Vergangenheit sein.

Der alte Golf holpert über die Straßen. Marie merkt, dass die Stoßdämpfer dringend erneuert werden müssten, oder besser gesagt: Ein neues Auto muss her. Wie auch immer, diese Tour wird er schon noch schaffen. Marie ist überaus nervös, was soll sie ihm sagen, wird er sie erkennen, wird er überhaupt mit ihr reden wollen? Wenn sie selbst in seiner Situation steckte, was würde sie tun?

Sie erinnert sich daran, mit welchem Ausdruck Klaus sie im Gerichtssaal ansah, ein kleines verächtliches Lächeln auf den Lippen und sonst ohne eine erkennbare Gemütsbewegung. Es schien Marie, als dauerte dieser Blick eine Ewigkeit, doch tatsächlich war es nur eine Sekunde. Der Anwalt der Anklage fragte sie, ob auch sie Klaus‘ Drohung, Ralf zu töten, klar und deutlich gehört hatte. Ob Marie dabei gewesen war, als Klaus und Ralf sich prügelten. Marie hatte alle Fragen mit Ja beantwortet und dabei stur auf den Anwalt gestarrt. Es hatte sie innerlich zerrissen, denn sie wollte eigentlich die ganze Wahrheit herausbrüllen. Doch sie schwieg und war zu feige, und sie hatte geschworen, niemals ein Wort über ihre Gräueltat zu verlieren.

Heute ist sie bereit, diesen Schwur zu brechen. Sie parkt ihren schnaufenden Golf auf dem Besucherparkplatz vor dem Gefängnis. Marie wundert sich darüber, dass nur noch drei weitere Autos dort stehen. Sie blickt unruhig auf ihre Armbanduhr, 15.30 Uhr, Marie atmet hörbar aus. Sie ist nicht zu spät, und sie hat noch eine Stunde Zeit.

Das alte, von hohen Mauern umgebende Gebäude löst bei ihr Beklemmung aus. Wie schrecklich muss es sein, über Jahre eingesperrt zu sein, ein Leben ohne die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, zu fristen, und dabei immer unter Beobachtung zu stehen – bei allem, was man tut.

Mit staksigen Schritten betritt Marie den Empfangsbereich. Das Erste, was sie registriert, sind die Kameras an den Decken. Ihr wird flau im Magen, ihr Herz schlägt bis zum Hals, und am liebsten würde sie sich auf der Stelle umdrehen und wegrennen, nach Hause fahren, sich unter der Bettdecke verkriechen und Tanja irgendeine an den Haaren herbeigezogene Geschichte auftischen. Der Gedanke an Tanja gibt ihr wieder Mut. ‚Nein, ich zieh das jetzt durch,‘ ermahnt Marie sich.



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